Der Begriff Chronotyp beschreibt die innere Uhr eines Menschen. Sie bestimmt, wann du am liebsten schläfst, arbeitest und am leistungsfähigsten bist. Umgangssprachlich spricht man von Lerchen (Frühaufsteher), Eulen (Spätaufsteher) und einer grossen Gruppe dazwischen, den Tauben (Mischtypen). Diese Neigungen sind genetisch mitbestimmt und lassen sich nicht einfach durch Willenskraft ändern.
Während Lerchen schon vor Sonnenaufgang konzentriert arbeiten können, laufen Eulen oft erst dann zur Höchstform auf, wenn andere schon Feierabend machen. Das kann im Berufsalltag zu Spannungen führen, vor allem, wenn fixe Arbeitszeiten nicht zu den individuellen Rhythmen passen.
Wer dauerhaft entgegen seines natürlichen Chronotyps lebt, riskiert mehr als nur schlechte Laune am Morgen. Zahlreiche Studien, unter anderem von der Harvard Medical School und der Universität München (Münchner Chronotype Questionnaire, MCTQ), zeigen, dass eine anhaltende Diskrepanz zwischen biologischer und gesellschaftlicher Uhr, auch sozialer Jetlag genannt, erhebliche gesundheitliche Folgen haben kann. Dazu gehören Schlafmangel, Konzentrationsprobleme, depressive Verstimmungen, ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und Stoffwechselstörungen. Besonders Abendtypen, die früh zur Arbeit erscheinen müssen, leiden häufig unter chronischem Schlafdefizit.
Natürlich ist klar, dass nicht alle Berufe oder Branchen zeitlich flexibel organisiert werden können. In vielen Fällen gibt es rechtliche oder betriebliche Rahmenbedingungen, die feste Arbeitszeiten notwendig machen, etwa Ladenöffnungszeiten, Lärmregulationen oder Kundenkontaktzeiten. Auch im privaten Umfeld, insbesondere bei Familien mit schulpflichtigen Kindern, kann ein gemeinsamer Zeitplan das Leben erleichtern. Wenn alle im gleichen Takt funktionieren, erfordert das weniger Abstimmung, als wenn jede Person ihrem eigenen Rhythmus folgt.
Es geht also nicht darum, starre Zeitstrukturen in die eine oder andere Richtung zu verschieben, sondern sie dort aufzulockern, wo es sinnvoll und möglich ist, und Mitarbeitenden Mitgestaltungsmöglichkeiten zu bieten. Denn wer ohne Wecker wach wird und ohne Koffein wach bleibt, ist nachweislich aufmerksamer, konzentrierter und langfristig gesünder. Solche Personen erleben zudem ein grösseres Mass an Selbstbestimmung, was sich positiv auf Motivation und Arbeitszufriedenheit auswirkt.
Wo immer möglich, sollte die Arbeitszeitgestaltung den unterschiedlichen Chronotypen entgegenkommen. Flexible Gleitzeitmodelle ermöglichen es, konzentrierte Phasen dort zu nutzen, wo sie individuell am besten wirken. Besonders wichtig ist, dass diese Flexibilität nicht nur theoretisch, sondern auch kulturell akzeptiert ist.
Eine Kernarbeitszeit von sechs Stunden, zum Beispiel von 9 bis 16 Uhr, bietet nur eine eingeschränkte Flexibilität. Sie ist besser als nichts, aber keine echte Lösung. Überlege, welche Aufgaben wirklich gleichzeitige Zusammenarbeit erfordern und welche zeitversetzt erledigt werden können. Alles, was auch mit drei bis vier Stunden Verzögerung bearbeitet werden kann, gehört nicht in die Kernarbeitszeit.
Spätaufsteher sind nicht faul und Frühaufsteher sind nicht zwangsläufig besonders diszipliniert. Solche Zuschreibungen führen schnell zu Spannungen. Wichtiger ist, sich auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren. Meist gibt es einige Stunden am Tag, in denen alle aktiv sind. Auf dieses Zeitfenster sollte die Kernarbeitszeit gelegt werden.
Plane Termine so, dass sie möglichst viele Chronotypen berücksichtigen. Besonders am Montag oder nach Ferien ist es sinnvoll, Randzeiten zu vermeiden. Wenn das erste Meeting gleich um 8 Uhr oder erst um 17 Uhr angesetzt ist, clasht das umso stärker mit dem tenzenziell freier nach Chronotyp gelebtem Wochenende. Bereits übermüdet in die neue Woche starten zu müssen hemmt die Produktivität und die gesundheitliche Regeneration für die ganze Woche.
Warum muss jeder Arbeitstag genau acht Stunden dauern? Manche arbeiten an einem Tag hochkonzentriert zehn Stunden und brauchen dafür am nächsten Tag mehr Ruhe. Wenn das Arbeitspensum über längere Zeiträume ausgeglichen werden kann, profitieren sowohl Produktivität als auch Wohlbefinden. Flexible Wochen- oder Monatsmodelle sind oft realistischer als starre Tagesstrukturen.
Wer nicht mit der Masse zur Rush-Hour pendelt, hat mehr Platz im ÖV und auf den Strassen. Das spart Zeit und Nerven und schont gleichzeitig die Umwelt. Unterschiedliche Arbeitszeiten können also nicht nur für Einzelne, sondern auch für die Gesellschaft Vorteile bringen.
Oft werden Frühaufsteher unbewusst bevorzugt, weil sie früher im Büro sind und sich die guten Arbeitsplätze schnappen, während den Später-Kommenden und Länger-Bleibenden eher die ehrenhafte Aufgabe zukommt, die Lichter auszumachen und Fenster und Türen abzuschliessen. Hier hilft Transparenz und Fairness. Arbeitsplatzverteilungen, Sitzordnungen oder Reservierungssysteme sollten so gestaltet sein, dass keine Gruppe benachteiligt wird.
Plane bewusst Zeitfenster für konzentriertes Arbeiten, in denen du nicht gestört wirst. Solche Timeboxes sollten sich am Chronotyp orientieren, denn die geistige Leistungsfähigkeit variiert im Tagesverlauf. Wer sich selbst kennt, kann seine produktivsten Stunden optimal nutzen. Unterschiedliche Chronotypen im Team zu haben ist hier ein riesiger Vorteil: Wenn du gerade im Flow bist und dich ungestört konzentrieren möchtest, kann dir ein anderes Teammitglied, dass gerade im Nachmittagstief ist z.B. den Rücken freihalten, indem es den Telefondienst übernimmt.
Früh anfangen, lange bleiben oder ständig erreichbar sein gilt in manchen Unternehmen immer noch als Beweis für Engagement. Dabei ist es viel sinnvoller, wenn jede Person zu ihrer produktivsten Zeit arbeitet. Erfolg entsteht nicht durch Dauerpräsenz, sondern durch Qualität und Fokus. Es ist Zeit, diese Haltung auch im Arbeitsalltag zu verankern.
Auch bei der Planung von Teamevents ist es sinnvoll, die unterschiedlichen Chronotypen zu berücksichtigen. Ein gemeinsamer Anlass soll Freude bereiten und das Wir-Gefühl stärken, nicht aber für einige zur Belastung werden, weil er zu ungewohnten Zeiten stattfindet. Plane Teamevents deshalb idealerweise innerhalb der regulären Arbeitszeit. So müssen die Teilnehmenden nicht von ihren etablierten Schlaf- und Aktivitätszeiten abweichen und können den Tag entspannt geniessen.
Ein weiterer Vorteil: Wenn alle ungefähr wie gewohnt aufstehen und zur üblichen Zeit wieder zu Hause sind, lassen sich private Verpflichtungen wie Kinderbetreuung oder Vereinsaktivitäten besser einplanen. Wird der Anlass ausserhalb des Arbeitsplatzes durchgeführt, sollte die Reisezeit unbedingt mitgerechnet werden. So bleibt der Event ein positives Erlebnis für alle.
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